Alumni im Interview: Matthias Horx von der Goethe-Uni
Matthias Horx (68) ist ein deutscher Publizist, Unternehmensberater und Trendforscher sowie Gründer des Zukunftsinstituts Horx GmbH mit Standorten in Frankfurt und Wien
In welchem Kontext fand Ihr Studium – von 1973 bis 1980 Soziologie und Kunst auf Lehramt – statt?
Das war damals eine sehr wilde und aufgeregte politische Zeit, in der der Campus summte wie ein Bienenkorb; viele Demonstrationen fanden hier statt. Das studentische Leben in den 70er-Jahren war eben eher eine revoltierende Lebensform, und die Uni war ein sozialer Treff- und Heimatpunkt. Neben dem klassischen Studienplan fanden zahlreiche weitere Veranstaltungen statt, und man erlebte ein durchaus produktives und manchmal auch negatives Chaos. Es gab eine Vielfalt von "revolutionären Angeboten", von eher kommunistischen oder maoistischen Gruppen bis zu aktivistischen Spontis, zu denen ich auch gehörte. Wir haben damals die Infrastrukturen des ASTA und des Studentenwerkes auch gerne genutzt, wenn es darum ging Straßenfeste oder Demonstrationen zu organisieren oder Flugblätter zu drucken.
Haben Sie Ihr Studium abgeschlossen und dann direkt einen Beruf ergriffen?
Nein, ich habe es irgendwann abgebrochen, weil ich direkt aus dem Studium bereits in die Berufstätigkeit gegangen bin. Wir haben neben dem Studium eine Menge Alternativunternehmen gegründet, sozusagen der Praxisteil der Seminare: Von der Karl-Marx-Buchhandlung, die es ja heute noch gibt, über Kinderläden, Cafés und Naturkostläden bis hin zu Druckereien, Zeitungen, Möbelwerkstätten war das ein kunterbuntes Kleingewerbe, das zu seinen Glanzzeiten aber tausende von Menschen beschäftigt hat. Die Grenzen zwischen Universität und realem Leben waren da sehr fließend. Dieses Lebensgefühl der radikalen Lebensveränderung‘ endete allerdings mit dem deutschen Herbst 1977, als die RAF, die Rote Armeefraktion, ihren Terror auf die Spitze trieb und dabei ums Leben kam. Mit dieser tiefen Erschütterung begann auch an der Universität eine neue Realität, in der sich die Verhältnisse normalisierten. Ich wurde dann später Journalist in Hamburg, unter anderem bei der „Zeit“, und bin „Wissensunternehmer“ geworden.
Wie haben Sie Einrichtungen des Studentenwerks – beispielsweise die Wohnheime – erlebt?
Ich lebte Mitte der 70er Jahre zu acht in einer Wohngemeinschaft in der Hamburger Allee, und die Uni, das „KOZ", das Kommunikationszentrum auf dem alten Campus, war auch ein Dreh- und Angelpunkt unseres Alltags. Alles war ja auch durch Straßenfeste und ständige Demos geplant, und das Studentenwerk und der ASTA waren eine viel genutzte Infrastruktur. Natürlich habe ich auch wilde und legendäre Wohnheimpartys erlebt.
Inwieweit hat Ihre Studienzeit Sie nachhaltig geprägt?
Ich bin bis heute mit den Menschen, die mir damals nahestanden, in Verbindung, und mit Leuten aus meiner ehemaligen WG treffe ich mich noch regelmäßig. Das war halt eine sehr soziale Zeit mit einem intensiven Gruppenempfinden, und wir sind, wie ein großer Stamm, permanent durch die Unigegend gezogen. Es war eben auch eine sehr politisierte Zeit, eine Ära des gesellschaftlichen Aufbruchs, der die Gesellschaft weit über die Uni hinaus geprägt hat, tief in die Stadtgesellschaft hinein. Frauenbewegung, Ökologiebewegung, Dritte-Welt-Initiativen, Minderheitenpolitik – all das nahm damals seinen Anfang. Die Universität war weniger eine Bildungsanstalt, sondern eine Art Energiezentrum der Stadt, eine Werkstatt der Veränderung, in der immer wieder neu gedacht, experimentiert und protestiert wurde. Und von dort aus haben sich die großen Themen bis in unsere Zeit entwickelt. Ich lebe in gewisser Weise heute noch in der Gedankenwelt und Dynamik, die sich damals entwickelt hat, was natürlich auch mit meinem Beruf als Zukunftsforscher zu tun hat.
Was denken Sie, wenn Sie heute die damaligen Örtlichkeiten besuchen?
Ich wandere manchmal etwas nostalgisch durch den alten Bockenheimer Campus, am Hauptgebäude und an der Mensa, an deren Wände wir unsere Parolen geschrieben haben, und am Studentenhaus vorbei, das wirkt heute alles eher ein bisschen tot. 2018 war ich auf einer Veranstaltung auf dem neuen Campus und habe sehr gestaunt, welche moderne Architektur da entstanden ist. Alles natürlich viel professioneller und in gewisser Weise steriler als zu unserer – chaotischen – Zeit. Da gab es zum Beispiel auch immer jede Menge Sozialfälle, Drogenabhängige und Obdachlose, oder Menschen mit psychischen Problemen, die auf den Campus kamen. Wir nannten sie liebevoll „Kaffeewärmer“, weil sie sich am kostenlosen Kaffee im Kommunikationszentrum die Hände wärmten. Damals hätte es mehr psychologische Beratung gebraucht, aber es waren eben auch „verrückte" Zeiten.
Hatten Sie in der Mensa ein Lieblingsessen?
Also wir waren ja bereits etwas ökologisch und orientiert und haben öfters zum – gesunden – Salat gegriffen, aber natürlich gab es auch diese Kindheitsgerichte, die man schon bei Mama gerne gegessen hat, und das ist bis heute so. Daher standen Buletten ganz hoch im Kurs! Und natürlich die üblichen Spaghetti Bolognese, die wir auch immer in der WG gekocht haben.
Was halten Sie von der Umbenennung in „Studierendenwerk“?
Na ja, das klingt ein bisschen steif, fast bürokratisch. Aber Sprache verändert sich eben, und nach einer Weile klingt das ganz normal. Wir sollten aber aufpassen, dass wir nicht mit Gewalt neue Sprachregeln schaffen. Die Sprache verändert sich ja meistens von ganz alleine, wir haben damals auch eine Art eigenen Sponti-Slang entwickelt, der dann seinen Weg in die Allgemeinsprache gefunden hat.
Möchten Sie dem Studierendenwerk quasi für die nächsten 100 Jahre noch etwas mit auf den Weg geben?
Ich muss mich erst einmal bedanken, dass mir in meiner Biographie eine experimentelle, sehr tolerante Zeit ermöglicht wurde, in der es auch mal wild zugehen konnte. Das war schon eine schöne, rebellische Jugend, in der alte Autoritäten verschwanden und neue Energien entstanden. Für die nächsten 100 Jahre wünsche ich mir, dass das Studium wieder eine aufregendere Zeit wird, in der die junge Generation sich selbst ausprobieren kann. Dass sich die Uni wieder mehr in die Gesellschaft öffnet und dass wir noch einmal neu über das nachdenken und fühlen, was „Bildung" ist. Das ändert sich nämlich derzeit wieder radikal. Ich glaube, die extreme Verschulung und Versäulung der Universitäten neigt sich dem Ende zu, Biographien werden ganz anders, und die Idee von „Karriere" wird gerade dekonstruiert. Die Arbeitswelt ändert sich radikal, und das wird auch eine enorme Auswirkung auf die Universitäten haben. Die Trennung zwischen "Hochbildung" und „Handbildung", Denken und Können, wird zunehmend aufgehoben. Vielleicht kann das Studentenwerk der Zukunft bei dieser neuen Integration hilfreich sein. Und wir brauchen auch eine neue Internationalisierung. In meiner Jugend gab es sehr viele Studenten aus anderen Ländern, und das wird sich in den nächsten Jahren noch einmal radikal ändern, weil wir eine neue Weltordnung bekommen, in der nicht mehr nur weiße Hautfarben den Ton angeben. Das braucht eine Menge neues „Guiding", und auch die Wohnformen werden sich wieder verändern, das „Prinzip WG“ kehrt zurück. Herausforderung genug für ein neues StuDIERENDENWerk!
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